Gastbeitrag: Gegen autoritäre Antworten auf die Krise – für eine grundlegende Gesellschaftskritik

Wir dokumentieren hier als Gastbeitrag die Rede unserer GenossInnen von cerchio auf der Demonstration des Oldenburger Bündnis für solidarische Krisenlösungen, die am 12.11.2022 unter dem Motto „Solidarisch aus der Krise“ stattfand.

Foto: Fabian Steffens

Gegen autoritäre Antworten auf die Krise – für eine grundlegende Gesellschaftskritik

Redebeitrag von cerchio, 12.11.2022

Hallo, ich begrüße euch.
Es wurde schon oft gesagt und ist doch jede Silbe wert: In Krisen wie dieser merken Millionen am eigenen Leib, dass sie in einer Gesellschaft leben, in der es nicht darum geht, allen Menschen ein möglichst gutes Leben zu ermöglichen. Oder auch nur ein erträgliches Existenzminimum. Das erzeugt zu Recht Wut und Verzweiflung!

Wütend zu sein reicht aber nicht, denn es braucht auch ein Verständnis davon, was in dieser Gesellschaft grundlegend falsch läuft. Und da fängt das Problem schon an: Aktuell instrumentalisieren auch alle möglichen Autoritären das Thema für ihre menschenfeindliche Propaganda.

Deshalb wollen wir es gleich zu Beginn ganz deutlich sagen: An alle Freien Oldenburger, Querdenker, AfDler, Basis-Mitglieder und sonstige Antisemiten, Rassisten und Nazis: Ihr seid hier nicht erwünscht! Ihr habt weder Erklärungen noch Lösungen für die Krise! Mit euch werden wir niemals auf einer Seite stehen und wir werden euch konsequent von der Demo werfen!

Die autoritäre Gesellschaft, die ihr euch herbeiwünscht, verdoppelt bloß die Unfreiheit und das Leid, das die Verhältnisse ohnehin hervorbringen – anstatt es abzuschaffen. Eure ideologischen Antworten auf die Krise sind Ausdruck einer unbegriffenen Ohnmacht und führen nur zu Ausgrenzung und Hass. Sie richten sich ausgerechnet gegen das, was an der bestehenden Gesellschaft noch bewahrenswert ist.
Denn nicht das bürgerliche Versprechen von Freiheit und Gleichheit ist an sich falsch, sondern dass es in einer kapitalistischen Gesellschaft niemals vollständig eingelöst werden kann. Wer sich als Reaktion darauf aber eine „Volksgemeinschaft“ wünscht und alle ausschließt und verfolgt, die als Feinde des nationalen Kollektivs ausgemacht werden, der hat natürlich auch kein Problem mit dem autoritären Regime in Russland: So wundert es gar nicht, dass die AfD Sanktionen gegen das russische Regime ablehnt und sich dabei einen Dreck um die Menschen in der Ukraine schert. Auch geben AfD, Querdenker und leider manche Linke der Ukraine, dem Westen oder den USA die Schuld an Krieg und Krise.
Solche falschen und gefährlichen Deutungen lehnen wir ab. Unsere Wut richtet sich nicht gegen die Ukraine, denn wenn wir hier von Solidarität reden, dann heißt das auch: Solidarität mit einem Land, das sich gerade gegen das autoritäre und menschenverachtende russische Regime verteidigt und dabei jede Unterstützung verdient.

Wogegen sich unsere Wut richtet, ist ein System, das über Marktgesetze funktioniert. Profitzwang, Konkurrenz, Lohnarbeit und Ausbeutung sind keine Ausnahme, sondern Grundprinzip des Kapitalismus.
Mit dieser Erkenntnis unterscheidet sich eine emanzipatorische Kritik von einer antisemitischen und verschwörungsideologischen Sicht auf die Krise. Denn diese braucht immer einen greifbaren Schuldigen, der für das unverstandene Unrecht der Gesellschaft verantwortlich gemacht werden kann. Aber nicht Gier oder andere angebliche Charaktereigenschaften von Kapitalisten sind für die Preiserhöhungen verantwortlich, sondern der strukturelle Zwang im Kapitalismus, Gewinn erwirtschaften zu müssen.

Auch vor der Krise war es ja schon so, dass viele Menschen wichtige Grundbedürfnisse nicht erfüllen konnten. Denn wer nicht genug Geld hat, dessen Bedürfnisse sind im Kapitalismus egal, weil es in dieser Gesellschaft gar nicht darum geht, dass alle Menschen eine Wohnung, Essen oder Kleidung haben.
Worum es geht, und zwar für den netten kleinen Ökoklamottenladen genauso wie für den internationalen Konzern, ist die Erwirtschaftung von Gewinn. Wer sich diesem Prinzip verweigert, geht unter in der Konkurrenz. In einer Gesellschaft, in der Lohnarbeit und Erwirtschaftung von Profit strukturelle Zwänge darstellen, wird es also niemals um unsere Bedürfnisse gehen.

Wenn sich wirklich etwas ändern soll, müssen diese Ursachen des Elends abgeschafft werden!

Trotzdem ist es existenziell, auch unter den beschränkten Möglichkeiten dieser Verhältnisse gemeinsam für unsere Interessen einzutreten. Höhere Löhne, bezahlbare Mieten, niedrigere Preise für Lebensmittel, Heizen und weitere Grundbedürfnisse werden uns nicht geschenkt, sondern müssen erkämpft werden – und zwar für alle Menschen!
Dabei werden uns weder deutschnationale Durchhalteparolen der Bundesregierung helfen – a la „weniger duschen und mehr frieren gegen Putin und für den Standort Deutschland“ – noch die nationalistischen Antworten von rechts.